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© Theresa Clayton 2015

 

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DUZEN UND KÜSSEN

 

Heute geht man das alles viel lockerer an. Das mit dem Duzen, meine ich. Sogar in diversen Fernsehsendungen hat diese Mode ihren Einzug gehalten. Ich dachte immer, die kennen sich alle gar nicht bis zur Sendung

 

Mir hat man ja damals beigebracht, daß Leute, die man nicht kennt, mit SIE angesprochen werden. Und daß es gewisse Regeln zu beachten gilt, wer wem das DU anbieten kann. Das ist mir derart in Fleisch und Blut übergegangen, daß ich jedesmal einen Zustand bekomme, wenn mich einfach jemand duzt, den ich in meinem Leben noch nicht gesehen habe, der offensichtlich noch Lichtjahre von meinem eigenen Alter entfernt ist, oder dem ich es nicht erlaubt habe.

 

Meine Schwiegermutter hatte mir bei einer Diskussion über dieses Thema bescheinigt, daß ich ein bißchen „hintendran“ sei mit sowas.

Das beruhte aber auf einem Mißverständnis. Sie dachte, ich möchte auch von Familienmitgliedern gesiezt werden. Na, das denn doch nicht! Obwohl - wir sind eine große Familie. Manche Leute, die dazu gehören, die kenne ich überhaupt nicht. Wenn ich sie auf der Straße sehen würde, wüßte ich noch nicht einmal, daß es sich um einen solchen handelt. Meine Schwiegermutter hat’s gut. Sie lebt in einem Land, in welchem es solche Probleme nicht gibt. Dort sagt man zu jedem YOU. Das ist simpel in der Handhabung und verursacht kein Durcheinander.

 

Parallel zur Duzmode geht die Kußmode herum. Es wird jedoch nur die Luft rechts und links neben den Ohren des Gegenübers geküßt. Das müssen Sie sich merken, falls Sie demnächst Mitglied in diesem Club werden wollen. Wahrscheinlich hat diese Kußart etwas mit der Angst vor Ansteckungen zu tun. Manche Leute haben den Bogen aber noch nicht ganz heraus und gehen zu sehr auf Tuchfühlung. Hier scheint die Ansteckunsgefahr zu liegen, deswegen läuft vermutlich das mit der Kußmode ein bißchen aus dem Ruder. Wie bei einer Epidemie. Jeder küßt jeden. Kaum noch Menschen zu sehen, die sich mit einem anständigen Händedruck begrüßen.

 

Nicht jeder mag diese Küsserei.

Ich zum Beispiel küsse nur Liebling. Und meine Kinder. Da behalte ich die Übersicht, ich muß nicht lange überlegen, ob das angebracht ist. Auch wegen irgendwelcher Ansteckungen brauche ich mir keine Gedanken zu machen, Masern, Windpocken und Ziegenpeter sind abgehakt, und vom Knoblauchgeruch fällt bei uns schon lange keiner mehr um.

Bei der Bank finden manche Mitarbeiter es auch nicht so gut, wenn man ihnen mit Küßchen ankommt. Man hat ihnen deshalb Schalter gebaut mit einer Glasscheibe, hinter der sie ihre Arbeit verrichten können, ohne von kußwütigen Kunden belästigt zu werden. Vielleicht ist das aber nur, weil sie nicht so genau wissen, ob man sie nur wegen des vielen Geldes küssen will, das ihnen dort durch die Finger geht. Wer will schon wegen des Geldes geküßt werden.

Bei der Post in unserem Städtchen waren die Schalter früher auch mit Glasscheiben zugebaut, hinter denen sich stoppelbärtige und kußmuffelige Postmänner verbarrikadiert hatten. Ob die wirklich Angst vor der Küsserei hatten, dafür hat sich ja damals auch keiner so richtig interessiert.

Nun sind sie weg, die Postmänner.

Die Scheiben auch.

Jetzt sind dort nette Mädels. Wie die dazu stehen, weiß ich nicht. Wenn SIE irgendwelche Ambitionen haben in Richtung Postmädel küssen, tät’ ich an Ihrer Stelle vorher lieber mal anfragen. Nicht, daß Sie nachher mit blauen Flecken nach Hause kommen.